Antibiotikaresistenz: Auf dem Weg zu Medikamenten um Bakterien zu entwaffnen
Ein interdisziplinäres Forschungsteam hat ein Molekül identifiziert, das in der Lage ist, pathogene Bakterien zu entwaffnen und so unser Immunsystem zu unterstützen. Dies geschieht ohne negative Auswirkungen auf die Mikrobiota des Wirts. Koordiniert wurde die Studie von INRAE, Die Forschenden sind Teil des CMFI an der Universität Tübingen, des CNRS, der Universität Paris-Saclay und des Inserm. Die Ergebnisse können zur Entwicklung neuer Medikamente führen, wurden patentiert und kürzlich im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
Antibiotikaresistenzen sind eine große Herausforderung für unsere Gesundheitssysteme. Nach Angaben der WHO sterben jedes Jahr weltweit 5 Millionen Menschen an den Folgen von Antibiotikaresistenzen. Bis 2050 könnte dies die häufigste Todesursache weltweit werden.
Obwohl Antibiotika die Sterblichkeit im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten erheblich gesenkt haben, hat ihr teilweise übermäßiger und missbräuchlicher Einsatz zur Entwicklung bakterieller Resistenzen geführt. Die meisten Antibiotika haben ein breites Wirkungsspektrum und zielen auf mehrere wichtige Stoffwechselwege von Bakterien ab. Sie wirken nicht spezifisch und greifen deshalb alle Bakterien – auch die nützlichen – des Wirts an. Dringend müssen neue bakterielle Angriffspunkte für Medikamente identifiziert und charakterisiert werden. Forschende der beteiligten Institutionen arbeiten an der Entwickelung innovative Antiinfektiva, um pathogene Bakterien gezielt bekämpfen zu können.
Die Forschenden haben in ihrer Studie das sogenannte Mfd-Protein (Mutation Frequency Decline) identifiziert. Einen Virulenzfaktor, der von allen Bakterien produziert wird und für sie unerlässlich ist, um dem Immunsystem des Wirts zu widerstehen. Dieses Protein hat die zusätzliche Funktion, spontane und zufällige Mutationen zu fördern, die die Fähigkeit der Bakterien zur Resistenzentwicklung erhöhen.
Entschärfung der eindringenden Bakterien und Schutz der Mikrobiota
Das interdisziplinäre Forschungsteam von INRAE, CNRS, Universität Paris-Saclay, Inserm und Exzellenzcluster CMFI der Universtät Tübingen wollte einen Wirkstoff finden und entwickeln, der das Mfd-Protein blockieren und damit die pathogenen Bakterien „entwaffnen“ kann. Die Hauptautorin, Nalini Rama Rao, arbeitete daran zwei Jahre lang als Gastwissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe von Lisa Maier im CMFI an der Universität Tübingen.
Aus einer Bibliothek von 5 Millionen Molekülen identifizierten die Forschenden ein vielversprechendes Molekül mit der Bezeichnung NM102, das in der Lage ist, an das Mfd-Protein zu binden und seine Aktivierung zu verhindern.
In vitro und anschließende Untersuchungen in vivo in Insekten- und Mausmodellen, zeigten die drei Hauptwirkungen des Moleküls:
1. Es tötet keine Bakterien in Abwesenheit von toxischen Verbindungen, die vom Immunsystem produziert werden.
2. Es reduziert die Menge der pathogenen Bakterien in den infizierten Organen, ohne die Mikrobiota des Wirts zu schädigen.
3. Es ist in der Lage, die Funktion von Mfd als Mutationsfaktor zu blockieren und dadurch die Fähigkeit der Bakterien zu verringern, eine Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe zu entwickeln.
Das Molekül ist somit in der Lage, pathogene Bakterien zu „entschärfen“ und gleichzeitig die anderen Bakterien des Wirts zu schützen.
Besonders vielversprechend ist, dass dieses Molekül auch gegen Bakterienstämme wirksam ist, die gegenüber aktuellen Behandlungen resistent sind und von Patient:Innen im Krankenhaus stammen.
„Diese Arbeit stellt einen spannenden Wandel in der Art und Weise dar, wie wir die Behandlung von Infektionskrankheiten angehen. Anstatt Bakterien wahllos abzutöten, zielen wir auf ihre Fähigkeit ab, dem Immunsystem zu entkommen - ohne dabei das Mikrobiom des Wirts zu stören. Diese Präzision verringert nicht nur das Risiko von Resistenzen, sondern schützt auch die nützlichen Mikroben, die für die menschliche Gesundheit wichtig sind. Dies ist ein vielversprechender Schritt hin zu intelligenteren, nachhaltigeren Antiinfektionsstrategien“, sagt Lisa Maier, CMFI Vorstandsmitglied und Mitautorin der Studie.
Vom Molekül zum Medikament
Das Team hat das Molekül in biologisch abbaubare Nanopartikel eingekapselt, um seine Verabreichung zu erleichtern. Derzeit arbeiten es mit der französischen Behörde für alternative Energien und Atomenergie (CEA) an der chemischen Optimierung analoger Moleküle. Zwei Patente für die Identifizierung des bakteriellen Ziels und für die Identifizierung des Moleküls selbst wurden angemeldet.
Originalpublikation
Tran S. L., Lebreuilly L., Cormontagne D. et al. (2025). An anti-virulence drug targeting the evolvability protein Mfd protects against infections with antimicrobial resistant ESKAPE pathogens. Nature Communications, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-58282-8.
(Quelle: INRAE Pressemtitteilung vom 29.04.2025. Übersetzung: Jonas Ritz)
Prof. Dr. Lisa Maier
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin
Exzellenzcluster CMFI
Mikrobiom-Wirts-Interaktionen
E-Mail: l.maier@
uni-tuebingen.
de
Leon Kokkoliadis
Medien- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel: +49 7071 29-74707 / +49 152 346 79 269
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