Entschlüsselung neuer Genfunktionen im menschlichen Darmmikrobiom
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert neues Schwerpunktprogramm zur Erforschung unbekannter Strukturen und Funktionen von Darmbakterien – koordiniert von CMFI Vorstandsmitglied Lisa Maier
Bakterien prägen sämtliche Ökosysteme, aber viele Arten sind unerforscht, selbst im menschlichen Darmmikrobiom, das für unsere Gesundheit von großer Bedeutung ist. Derzeit geht man davon aus, dass der menschliche Darm von etwa 4.500 verschiedenen Bakterienarten besiedelt werden kann. Von diesen konnten bisher etwa 70% nicht im Labor angezüchtet und untersucht werden, und die Funktion von 50% ihrer Gene bleibt unbekannt. Die Forschenden des neuen Schwerpunktprogramms Entschlüsselung neuer Genfunktionen im menschlichen Darmmikrobiom (SPP2474) möchten diese unbekannten Genfunktionen nun entschlüsseln. Dazu haben die Universität Tübingen (Lisa Maier), die Ludwig-Maximilians-Universität München (Bärbel Stecher), die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Jörg Vogel) sowie das Europäische Molekularbiologie Laboratorium Heidelberg EMBL (Nassos Typas) ein Rahmenprogramm entwickelt, das in der ersten Phase von drei Jahren mit rund 7,8 Millionen Euro von der DFG finanziert wird. Insgesamt ist eine Förderung von sechs Jahren vorgesehen.
Das Schwerpunktprogramm konzentriert sich auf die Untersuchung der häufigsten Darmbakterien, die eine zentrale Rolle im menschlichen Darm spielen, und erforscht grundlegende Aspekte ihrer Biologie. Dazu zählen die zellulären Strukturen und Funktionen dieser Nicht-Modellorganismen, ihre Fähigkeit zur Produktion und Verarbeitung neuer Stoffwechselprodukte und ihre Wechselwirkungen mit ihrer unmittelbaren Umgebung.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Kultivierbarkeit und die Verfügbarkeit genetischer Werkzeuge für Nicht-Modell-Darmbakterien zu einem erheblich besseren Verständnis ihrer Lebensweise geführt haben. Hier setzt das neue Programm an, indem es neue Technologien entwickelt, die die Erforschung von Darmbakterien erleichtern. Diese Technologien umfassen innovative Ansätze in den Bereichen Genetik, Biochemie, systembasierte Mikrobiologie, Struktur- und Computerbiologie sowie die Anwendung künstlicher Intelligenz in der Biologie. Die DFG-Förderung ermöglicht es nun, deutschlandweit Experten in den jeweiligen Technologien mit Mikrobiologen zusammenzubringen, um gemeinsam in einem interdisziplinären Konsortium die Erforschung neuer Genfunktionen im menschlichen Darmmikrobiom voranzutreiben.
An der Universität Tübingen ist das neue Schwerpunktprogramm in verschiedene Forschungsschwerpunkte eingebunden, darunter das Exzellenzcluster „Controlling Microbes to Fight Infections“ (CMFI) und das neue M3 Forschungszentrum. Die traditionell enge Verknüpfung der Mikrobiologie zwischen der Naturwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultät bietet hier einen idealen Rahmen. "Durch ein deutschlandweites Förderprogramm mit Einbindung internationaler Expertise zur Erforschung der Biologie von Darmbakterien erhoffen wir uns ein verbessertes Verständnis grundlegender Prozesse in Darmmikroben. Die Erkenntnisse werden uns dann als Ausgangspunkt für mikrobiombasierte Therapien in verschiedenen Bereichen der Medizin dienen", erklärt Lisa Maier, Professorin für Mikrobiom-Wirts-Interaktionen an der Medizinischen Fakultät Tübingen, die das neue Schwerpunktprogramm koordinieren wird. Und sie ergänzt: „Langfristig wird diese Initiative den Grundstein für die Erforschung verschiedenster mikrobieller Ökosysteme legen, was uns wiederum helfen wird, drängende Herausforderungen unserer Zeit, wie den Verlust biologischer Vielfalt und den Klimawandel, zu bewältigen.“
Über die DFG Schwerpunktprogramme:
In Schwerpunktprogrammen sollen Themen bearbeitet werden, von denen eine prägende Wirkung auf ein wissenschaftliches Feld zu erwarten ist. Das kann zum einen durch die Entdeckung neuer Forschungsgebiete erfolgen, zum anderen dadurch, dass bekannte Gebiete aus einer anderen Perspektive oder über einen neuen Zugang bearbeitet werden. Darüber hinaus zeichnen sich Schwerpunktprogramme durch eine interdisziplinäre und ortsübergreifende Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen aus.
Die ab 2025 elf neu geförderten Schwerpunktprogramme erhalten für zunächst drei Jahre insgesamt rund 72 Millionen Euro.
Über Lisa Maier:
Lisa Maier studierte Biochemie an der Universität Tübingen und promovierte an der ETH Zürich (2014). Im Rahmen des interdisziplinären Postdocprogramms am EMBL in Heidelberg arbeitete sie in den Gruppen von Nassos Typas und Kiran Patil (2015–2018). 2019 kehrte sie als CMFI- und Emmy-Noether-Nachwuchsgruppeleiterin nach Tübingen zurück. Seit April 2022 ist sie Professorin für Mikrobiom-Wirts-Interaktionen an der Medizinischen Fakultät. Ihr Labor verwendet automatisierte Hochdurchsatz- und Multi-Readout-Ansätze, um die Lebensweise von Bakterien des humanen Mikrobioms systematisch zu untersuchen. Die daraus resultierenden Datensätze dienen dann als Ausgangspunkt für mechanistische Studien, um die molekularen Details der Interaktion des Mikrobioms mit seinem Wirt aufzudecken.
Prof. Dr. Lisa Maier
Universität Tübingen
Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin
l.maier@uni-tuebingen.de
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