Aus der Corona-Pandemie lernen
CMFI-Sprecher Andreas Peschel und weitere Forschende rufen zu einem Richtungswechsel bei der Behandlung bakterieller Infektionen auf.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern ein konsequentes Umdenken in der Bekämpfung von Krankenhausinfektionen durch multiresistente Bakterien
Krankenhausinfektionen nehmen seit Jahren stetig zu und fordern jährlich hunderttausende vermeidbarer Todesopfer. Die Ursache sind vor allem Bakterien, die gegen mehrere Antibiotika resistent geworden sind. Trotz alarmierender Zahlen ist das Thema Antibiotikaresistenz bisher jedoch in der Politik ohne Priorität geblieben. Das muss sich ändern, mahnen Expertinnen und Experten aus dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), dem Exzellenzcluster Controlling Microbes to Fight Infections (CMFI) der Universität und des Universitätsklinikums Tübingen und anderen internationalen Forschungseinrichtungen in der aktuellen Ausgabe von Lancet Infectious Diseases und rufen zu einem Richtungswechsel auf. Obwohl COVID-19 durch Viren verursacht wird, könne man aus der Erfahrung mit der Pandemie viel für das Management und die Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten übernehmen.
„Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass durch unzureichende Hygiene, zu geringes Wissen über die Ausbreitungswege der Erreger, mangelnde ärztliche Ausbildung und fehlendes Interesse der Pharmaindustrie an Antibiotikaforschung viele unserer Risikopatienten schwer erkranken und sterben.“ Mit dieser Mahnung wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professorin Maria Vehreschild (Köln), Professor Andreas Peschel (Tübingen), Professorin Evelina Tacconelli (Verona/Tübingen) und Professor Christian Giske (Stockholm) eine breite Diskussion anstoßen. Maria Vehreschild, Evelina Tacconelli und Andreas Peschel forschen auch gemeinsam im DZIF-Schwerpunkt „Krankenhauskeime und Antibiotika-resistente Bakterien“.
„Mit vergleichsweise geringem Aufwand könnten große Fortschritte in der Eindämmung von Krankenhausinfektionen erzielt werden“, so die Überzeugung der Wissenschaftler in ihrem Meinungsbeitrag in der Fachzeitschrift. „Die Frage, mit welchem Engagement und welchen Ressourcen wir lebensbedrohliche, aber vermeidbare Infektionskrankheiten über COVID-19 hinaus künftig behandeln, wird immer drängender.“
Das Team aus Infektionsmedizinern und Wissenschaftlern des DZIF, des Tübinger Exzellenzclusters CMFI und renommierter Forschungseinrichtungen anderer Länder hat hiermit einen an die weltweite Öffentlichkeit gerichteten Aufruf zu einem Paradigmenwechsel im Umgang mit Krankenhausinfektionen gestartet. Obwohl die Risikogruppen für COVID-19 und für Krankenhausinfektionen fast deckungsgleich sind, werde das Thema der Antibiotikaresistenzen seit Jahren sträflich vernachlässigt, so das Team, es mangele bislang an der nötigen gesellschaftlichen Wahrnehmung.
„Die Corona-Pandemie hat die Infektionskrankheiten zu einem Thema der Politik gemacht. „Wir sollten nach Corona nicht wieder zur Tagesordnung zurückkehren, sondern auch bei anderen schweren, aber vermeidbaren Infektionserkrankungen eine neue Richtung einschlagen“, betont DZIF-Wissenschaftlerin Maria Vehreschild, die den Aufruf mit verfasst hat. Die Verfasser sind davon überzeugt, dass mit vergleichsweise geringem Aufwand große Fortschritte in der Eindämmung von Krankenhausinfektionen erzielt werden können.
Veröffentlichung
Vehreschild MJGT, Tacconelli E, Giske CG, Peschel A: Beyond COVID-19 – a paradigm shift in infection management? Lancet Infectious Diseases, 9.10.2020, DOI: https://doi.org/10.1016/S1473-3099(20)30789-1
Leon Kokkoliadis
Medien- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel: +49 7071 29-74707
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